Was steckt hinter dem Albumtitel? Was wollt ihr mit Song XY ausdrücken? Welche Filme haben euch beeinflusst? Wieso dieser Bandname? Was bietet ihr dem geneigten Hörer? ... Es sind derlei Fragen, die für vollendeten Musikjournalismus stehen, die dem Künstler Antworten entlocken, die jede Leserschaft schier umhaut oder zumindest für Tage in ungläubiges Staunen versetzt. Zugleich sind dies Fragen, die sich Möchtegern-Fanzines niemals selbst ausdenken könnten. Der typische VOLT-Reporter etwa muss seine Interviewpartner oftmals mit Bier betäuben, damit überhaupt eine niedere Form der Kommunikation möglich wird. Wenige Minuten und einige inhaltslose Phrasen später atmen beide Seiten auf, gehen beschämt ihrer Wege und die traurigen Ergebnisse sind dann hier irgendwo zu lesen.
Zeit, diesem Missstand zu begegnen. Heimlich bei Lokus, Seduktor & Co. abzuschreiben würde nichts ändern, Profis zu holen ist die Lösung! VOLT ist stolz, mit Marvin Sahne (Name von der Redaktion geändert, um Abwerbung durch Konkurrenten zu vermeiden) Verstärkung an Bord zu haben, die aus hirnlosem Geplänkel endlich Interviews mit Tiefgang macht. Als Sänger von Flixi-Sedativi (auch dieser Name geändert) befragt zudem nachfolgend nicht irgendwer die Herren Tinoc und Kain von Ner\Ogris – sondern der Erfinder des Future-Pop höchstpersönlich. Fachwissen, Niveau, alles: Mehr geht nicht.
Ner\Ogris folgen der bewährten Modern-Talking-Formel: Massentaugliche Tunes aus der Konserve werden mit einem heißen Sänger als Blickfang vereint. Habt ihr noch weitere Vorbilder?
Tinoc: Musikalisch sind neben dem erwähnten Konstrukt natürlich noch Nickelback eine der großen Inspirationen. Wir mögen stete Wiederholungen.
Kain: Auch der Klang des einheimischen Volkes in Nordbayern – das am Tafelrund bei einem guten Becher Bier gerne in eine symphonische Harmonie düsterer Laute verfällt – ist nicht zu verachten und von großer Inspiration.
Habt ihr schon mal Musik gemacht bzw. in einer anderen Band gespielt oder sind das eure allerersten Versuche?
T: Natürlich nicht! Es steht ja überall, dass wir Newcomer sind – dann muss das stimmen. Wir können die Fake-News über Verbindungen zu Les Berrtas, Amnistia, TC75, MRDTC und was da noch so alles genannt wird absolut nicht nachvollziehen. Die sehen doch alle offensichtlich nicht so geil aus wie wir!
K: Und es ist unvorstellbar, dass wir ein Leben vor Ner\Ogris gehabt hätten. Dann hätten wir gefallen und herabgesunken sein können, hätten durchgelitten und uns musikalisch entfremdet. Doch siehe, wir sind das genaue Gegenteil, was beweist, dass es Gottes Wille ist.
Eure bürgerlichen Namen sind Gustl Möslecker und Dietmar Blötz. Wie kommt man da auf Kain und Tinoc? Hätte Kain lAbel da nicht mehr Sinn ergeben? Und apropos kein Label, ihr habt ja bei Dependent unterschrieben. Wie enttäuscht seid ihr bereits?
T: Ich habe meinen Namen damals von Hellmahr Brotzkoten zu Dietmar Blötz ändern lassen, da dieser phonetisch einfach schöner war. Tinoc ist zugegebenermaßen ein Konstrukt, mit dem ich Bilingualität vorgaukeln möchte: Erster Teil (TI): Das ist die Kurzform von „gute“ und muss Englisch ausgesprochen werden. Der Clou oder Trick ist, dass in tarantinoischer Manier das GU stumm ist. Zweiter Teil (NOC): Das muss italienisch gelesen werden, damit es Russisch klingt. Notsch heißt Nacht, Tinoc steht also für gute Nacht. Knaller, oder?
K: Der Begriff KA-I symbolisiert durch seine Lautmalerei die Künstliche Intelligenz. Das N wurde aus marketingtechnischen Überlegungen hinzugefügt, um zu zeigen, dass es etwas Neues und Unbekanntes ist. Meine Diener im Studio suchen gerne Unterstützung durch die KA-I.
Euer Debütalbum I Am The Shadow – I Am The Light erscheint ja bei Dependent Records, einem Label, das in den letzten Jahren eher durch schwache Signings und noch schwächere Releases aufgefallen ist. Da kommt jetzt keine Frage, das war nur so eine Feststellung ...
T: Wir haben uns auch schon gewundert, wie wir in dieses Konvolut der Schande reinpassen ...
K: Zwischen den Labels, die infektiös waren oder jenseits der Linie wandelten, stand uns die Wahl. Doch wir haben uns für die Knechtschaft entschieden, denn letztlich regiert das vergängliche Geld. Unser sündhaftes Leben verlangt nach Finanzierung.
Kain, Ihr erwähntet, aus Nordbayern zu stammen. Aus welcher Zeit dort genau?
K: Es war eine Zeit, bevor es die digitalen Workstations für Audio gab, da wurden die Klänge auf 720-kb-Disketten bewahrt und das Telefon war an die Wand gebunden durch lange Kabel.
Und des übermäßigen Alkoholkonsums, deucht es mich. Lasst uns über Musik reden. Ihr bringt wie gesagt ein neues Album auf dem Markt. Erzählt doch mal ein bisschen darüber, wie gut ihr The Inevitable Relapse von Fïx8:Sëd8 findet.
T: Wir finden das immer ganz einfach über Suchmaschinen oder bei unserem Streaming-Anbieter. Tolle Sache, dieses Internet.
K: Es geschah mir auf eine andere Art und Weise. Ich suchte jüngst nach The Inevitable Relapse und konnte es nicht finden. Ich erinnerte mich, dass ich die CD als Untersetzer für meine Kaffeetassen im Studio verwendet hatte. Doch einer meiner treuen Aufnahme-Knechte hatte sie dann missbraucht und als Pizza-Roller verwendet. Nachdem er die CD gereinigt hatte, stellte er sie sicher und wohlbehalten ins Regal zurück. Wer hätte das vorhergesehen?
Mit der Veröffentlichung von I Am The Shadow – I Am The Light seid ihr zu einem echten Geheimtipp geworden. Woher nehmt ihr die Motivation dennoch weiter Musik zu machen?
T: Das ist eher ein Zwang ... Kain hat sonst nichts zu tun und ich habe außer Lieder vollvokalieren keine anderen Themen im Leben. Was willste machen?
Die instrumentalen Tracks auf dem Album haben alle spanische Titel, Tinocs fehlende Bereitschaft für die Aufnahmen spanisch zu lernen zeugt von ersten Rissen zwischen euch. Kain, mit wem würdest du in Zukunft stattdessen lieber zusammenarbeiten?
K: Uns kam zupass, dass wir uns fragten: Welche Sprache soll Tinoc beim nächsten Album nicht beherrschen? Es wurde erörtert, ohne eine feste Antwort. Doch am Ende stand der Beschluss, dass es die Sprache des Volapük sein sollte – dabei beschränkt auf die Verwendung von nur drei weißen Tasten der Klaviatur in den Liedern.
Während jetzt alle Volapük googeln: Auf eurem Album wird erschreckend wenig bei VNV Nation, And One und anderen Szenegrößen geklaut, stattdessen ein eigener, frischer Sound präsentiert. So was kommt bei den Leuten natürlich gar nicht gut an. Wird die limited Edition deshalb in einem optisch ansprechenden 48-seitigen Artbook veröffentlicht?
T: Es ist schon immer so gewesen: Stil vor Talent. Wir kompensieren, wo wir können!
Umfragen in der Gruppe der 11-bis 14-Jährigen haben ergeben, dass null Prozent jemals von Ner\Ogris gehört haben, dafür aber 100 Prozent keine Süßigkeiten von euch annehmen würden. Bleibt es den Blutengels, Lord Of The Losts und VNV Nations dieser Welt überlassen, eine neue Generation an die Szene heranzuführen? „Dunkle“ hab ich extra weggelassen ...
T: Ganz klar JA! Und um es mit Klaus Wowereit zu sagen: Und das ist auch gut so!
K (packt die Süßigkeiten weg): Und es geschah, dass wir beschlossen, unsere Musik unter die Jüngsten zu tragen, um ihnen Freude zu schenken. Denn wir waren auch einst jung und wissen, wie wichtig es ist, gute Musik zu hören. Und wir werden nicht nachlassen in unseren Bemühungen. Denn wir wissen, dass es die Jugend ist, die die Zukunft trägt.
Tinoc, Leipzig liegt nur 400 Kilometer von Hamburg entfernt, der Stadt in der Ronan Harris lebt. Wie kann man da nachts ruhig schlafen?
T: Da sagst du was ... es ist zum Teil nur schwer zu ertragen. Weißt ja selbst wie das ist, wenn des Nachts die rolligen Katzen jaulen!
K: Glücklicherweise bin ich noch weiter entfernt in der Ferne.
Apropos unsympathisch: Euren ersten Live-Auftritt habt ihr am 18. März in Naumburg mit G.O.L.E.M., To Avoid und Fïx8:Sëd8. Abgesehen davon, dass ein Traum für euch in Erfüllung geht: Was können wir von Ner\Ogris live erwarten und wie war die Zusammenarbeit mit dem Filmorchester Babelsberg?
T: Wie du ja weißt, kann man sich seine Backstage-Clique nie aussuchen. Da muss man auch mal einen sauren Drops lutschen. Die Sache mit dem Orchester haben wir abgeblasen, da die Leute nicht die notwendige werksgetreue Sensibilität mitbrachten. Wir würden wirklich gerne einmal mit Profis arbeiten ...
K: Ja, wir jubeln vor Freude, dass wir endlich unser Instrumentarium wieder zum Klingen bringen dürfen. Es wird eine prächtige, laute und bunte Darbietung sein. Wir werden alle unsere Meisterstücke präsentieren und auch segnende Worte entgegennehmen. Die Auswahl der Stücke ist ein farbenfrohes Sammelsurium unserer Schöpfung und birgt keine unerwarteten Überraschungen. Es wird alle in Atem halten.
Interview: Martin Sane / Fix8:Sed8 für VOLT