Numb und Jihad – was für Kapazitäten der früh-mittleren bis gegenwärtigen Electro-Geschichte! Entsprechend euphorisch die Reaktionen auf die überraschende Geburt ihres Projekts Data Void. Don Gordon und James Mendez, seit fast 30 Jahren miteinander bekannt, fanden endlich auch musikalisch zusammen, produzierten ein erstes gemeinsames Album.
Strategies Of Dissent kombiniert die Stärken der beiden Texaner, ist meist bissig, manchmal emotional, spürt lyrisch komplexen technischen Themen und gesellschaftlichen Perversionen nach. Und: im Gegensatz zu Numb, die seit Jahrzehnten auf keiner Bühne mehr standen, werden Data Void bald auch live zu sehen sein. Im Interview mit VOLT verraten die beiden noch eine Menge mehr.
Woher kennt ihr euch und wann seid ihr musikalisch zusammengekommen?
James: Don und ich haben uns irgendwann 1996 in Austin, Texas, getroffen. Da waren Numb mit FLA und Die Krupps auf Tour. Im November 2018 bin ich in Südostasien gewesen und traf Don zum Abendessen in Ho-Chi-Minh-Stadt, wo er damals lebte. Angeregte Gespräche über Musik führten schließlich zur Idee, gemeinsam an etwas zu arbeiten.
Don: Wie sich zeigte, haben wir unterschiedliche Herangehensweisen an Musik – ein Hinweis für mich, dass eine Zusammenarbeit zu interessanten Ergebnissen führen würde.
Wie ging es dann weiter?
J: Unser erster gemeinsamer Song basierte auf einem von Don ersonnenen Konzept. Wir schickten zunächst Dateien hin und her, trugen verschiedene Elemente zusammen, etwa Sequenzen, Schlagzeugprogrammierung und Gesangsideen. So kamen wir an einen Punkt, an dem die Songstruktur einigermaßen stand. Wir machten weiter, bis mehrere Tracks finalisiert waren – und beschlossen dann, ein ganzes Album zu produzieren. Die Dinge konnten sich organisch entwickeln, da wir uns weder beschränkt noch Fristen gesetzt hatten.
D: Es ist ironisch, dass wir uns erst im Studio trafen, nachdem das Material größtenteils fertig war. Obwohl der Entstehungsprozess der Songs langsamer und indirekt war, denke ich, dass dies eine Ebene der transparenten Komplexität ermöglichte, die sich letztlich als effektiv erwies.
Strategies Of Dissent ist vielseitig und modern, sowohl aggressiv und roh als auch atmosphärisch und dunkel. Kann grob gesagt werden, dass Don für den Krawall und James für die Atmo verantwortlich war?
D: Im Allgemeinen neige ich zu Textur, Abstraktion und Aggressivität, während es James eher zu Rhythmus und Melodie zieht. Aber das heißt nicht, dass es feste Regeln gibt. Ziel war es, eindringliche Songs zu schaffen, die den Zuhörer in einen emotionalen Raum ziehen, in dem die Stücke am effektivsten wirken.
J: So wie in der Frage formuliert, passt es schon gut. Eine andere Beschreibung wäre, dass Don für Dissonanz, Texturen, Klanglandschaften und Chaos sorgt. Ich bringe dunkle Melodik ein. Obwohl es auch vorkommt, dass es genau andersrum läuft – was die Dynamik des Gesamterlebnisses steigert, weil wir uns gegenseitig in unserem eigenen Stil und auf unsere eigene Weise ergänzen.
„Das Optimum aus zwei Stimmen sorgt für Abwechslung und Dynamik.“ Don Gordon
Ihr singt auch beide, etwa im Verhältnis fifty-fifty. Das mag zunächst ungewöhnlich wirken, geht aber voll auf. Gab es jemals eine Debatte darüber, sich auf nur eine Stimme zu beschränken?
J: Es war Dons Idee, unsere Stimmen auf verschiedene Weise zu schichten, was man heutzutage in der Tat nicht oft in unserem Genre hört.
D: Für mich stehen Grooves und Texturen im Vordergrund. Gesangsparts kommen später. Als wir also mit den ersten Tracks für Data Void begannen, gab es das Thema Sänger nicht wirklich. Im Laufe der Zeit entwickelten wir jedoch einen Prozess, der für uns sehr gut funktionierte: Ich schrieb Texte, nahm eine erste Vocal-Version auf und gab sie an James weiter. Er bearbeitete und erweiterte sie dann. Die interessantesten Elemente unserer beiden Ansätze wurden schließlich kombiniert. Das Optimum aus zwei Stimmen sorgt für Abwechslung und Dynamik.
Hattet ihr noch weitere Unterstützung während des Produktionsprozesses?
J: Bezogen auf die reinen Kompositionen nicht. Vincent von 2nd Face masterte aber das Album und hat, wie erwartet, hervorragende Arbeit geleistet.
D: Ich finde es schwierig, meine eigenen Mixe objektiv zu bewerten, daher ist eine frische externe Perspektive für mich beim Mastering-Prozess von unschätzbarem Wert.
Euer Projektname lässt sich verschiedentlich interpretieren. Worauf bezieht sich Data Void wirklich?
D: Die Idee von fehlenden Daten im Zusammenhang mit Medien und Technologie passte zu mehreren Themen, die wir angehen. Aber der Name hat noch eine weiter zurückgehende Bedeutung für mich. Vor einigen Jahren stieß ich in einem anonymen Online-Webverzeichnis auf eine kurze Videodatei namens javascript_void_0. Obwohl die in dem Video eingefangene Szene alltäglich war, verlieh ihr der seltsame Ton, die schlechte Beleuchtung und Auflösung ein gespenstisches Flair. Ich stellte sie mir als Fragment einer früheren Ära vor, das von einem zukünftigen digitalen Archäologen entdeckt wurde, der Archive durchsuchte. Das erinnerte mich auch an die Nebenhandlung im Roman Pattern Recognition von William Gibson: Videofragmente eines unbekannten Künstlers wurden im Internet verteilt und zufällig gefunden. Die Menschen versuchten sie dann in sehr obsessiver, kultischer Art und Weise auf eine Zeitleiste zu bringen und ihnen Bedeutung zuzuschreiben.
Es heißt, Strategies of Dissent sei ein Album für die „Enteigneten“. Wie ist das gemeint?
D: Eine wachsende Zahl von Menschen, insbesondere jüngere Generationen, hat das Gefühl, nicht gehört zu werden. Und dass Entscheidungen getroffen werden, die ihre Bedenken und die Auswirkungen auf ihre Zukunft nicht berücksichtigen oder absichtlich ignorieren. Diese Frustration wird durch Systeme der Kontrolle und Spaltung umgelenkt und diffundiert, die wiederum ein Gefühl von Fatalismus und Ohnmacht fördern. Die Herausforderung besteht darin, wirksame Wege zu finden, um dagegen vorzugehen.
„Es besteht keine Notwendigkeit, Bücher zu verbrennen. Es liest sie sowieso niemand.“ Don Gordon
Am Montag kommt die erste Single aus dem Album. Was könnt ihr dazu schon verraten?
D: Nothing Changes drückt Frustration über ein System aus, in dem wir anscheinend keine bedeutenden Veränderungen herbeiführen können, auch wenn es offensichtlich ist, dass wir an mehreren Fronten auf einen Absturz zusteuern. Macht und Kontrolle kommen nur wenigen zugute, sind diffus ist und werden auf eine Weise präsentiert, die es schwer macht, sich eine anders funktionierende Gesellschaft vorzustellen. Sprache hat sich von Bedeutung gelöst, während Außenseiter- und Radikalsichten schnell in den Mainstream integriert werden. Es besteht keine Notwendigkeit, andere Ideen zu unterdrücken, da diese durch Rekontextualisierung neutralisiert werden. In einer 360-Grad-Unterhaltungswelt, in der Wahrheit und Fiktion austauschbar sind, besteht keine Notwendigkeit, Bücher zu verbrennen. Es liest sie sowieso niemand. Es ist nicht mehr so einfach wie früher, als es nur „wir“ gegen „sie“ gab, Widerstand aufzubauen und Veränderungen herbeizuführen. Aber Veränderungen sind unvermeidlich.
J: Craig Saunders a.k.a. Shokmachine produzierte dafür einen Clip. Eine zweite Single mit Video wird zudem Ende Februar veröffentlicht. In den kommenden Wochen soll es noch weitere Ankündigungen geben.
Wird Data Void ein einmaliges Projekt bleiben oder seht ihr euch als Band, die gerade erst anfängt?
D: Anfangs dachten wir, es wäre einmalig, aber im Laufe der Zeit hat es sich weiterentwickelt und ein Eigenleben entwickelt. Also denke ich, dass es in naher Zukunft mehr Data Void geben wird.
J: Wir haben noch nicht wirklich über zukünftige Pläne gesprochen, aber ich bin definitiv offen für die Arbeit an einer weiteren Veröffentlichung. Es kann sich auf jeden Fall auch auf Shows von Data Void in naher Zukunft eingestellt werden.