INTERVIEW

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Front Line Assembly vs. Die Krupps: Im Bus mit Bill und Jürgen – Interview

Von ihrem Thron können sie auf 40 Jahre Electro- und Industrial-Geschichte hinabblicken – Genres, die sie selbst begründeten und unter anderem mit ihren Hauptbetätigungsfeldern Front Line Assembly und Die Krupps immer wieder neu befeuern. Aktuell sind Bill Leeb und Jürgen Engler mit ihren Kollegen auf gemeinsamer Europa-Tournee. Als The Machinists Reunited bündeln sie abermals ihre Kräfte, entfesseln sie in Clubs und bei Festivals unter anderem in Polen, Deutschland, Holland und Skandinavien, wo die letzten Termine der Agenda abgerissen werden. Wenn Bill und Jürgen tagsüber zuletzt den Blick schweifen ließen, sahen sie zumeist das Cockpit ihres Drivers, zwölf Schlafkojen, gemütliche Sitzlounges plus eine kleine Küche. Und im Gegensatz zu draußen ist es in diesem temporären kleinen Reich angenehm kühl.

VOLT besuchte die unverwüstlichen Helden vor ihrem Oberhausen-Gig im Tourbus.

Wie läuft die Tour?

Bill: Wir haben gut die Hälfte absolviert. Es ist super! Jürgen und ich kennen uns schon 25 Jahre. Er nennt mich immer Bruderherz. Es ist ein bisschen so, als wenn wir eine Familie wären. Wir machen das schon so lange und werden auch nicht jünger. Bisher war es eine gute Mischung aus Festivals und Clubs.

Jürgen: Ja, bis jetzt war es fantastisch. Jede Show war so gut, wie sie nur sein konnte. Außer natürlich, dass Marcel jetzt mit Corona ausgefallen ist. Er ist das letzte Mal in Budapest auf der Bühne gewesen und dann ist er krank geworden. Im Vorfeld habe ich immer gesagt, dass wir garantiert ein Problem auf der Tour kriegen, ich hatte das im Gespür. Und es war mir klar: Wenn es einer kriegt, dann Marcel oder Ralf. Jetzt sind wir zu viert auf der Bühne, aber wir können das.

B: Jetzt ist nur noch Nils an der Gitarre dabei und wir haben alle leichte Panik, dass wir uns angesteckt haben könnten. Man muss sich einfach vergegenwärtigen, dass die Pandemie noch immer nicht ausgestanden ist. Es ist also nicht wieder alles komplett zurück auf Normal. Ich selbst habe alle Impfungen und hatte noch kein Covid. Aber jeden Abend unter Leuten zu sein – man weiß es einfach nie.

Von bösen Überraschungen hast du erst mal die Nase voll?

J: Nach gestern überrascht mich nichts mehr ... Weinheim, Café Central. Wir kamen rein und ich dachte so „hier sollen wir spielen?“ – aber das war eine mega Show! Der Laden hat einfach komplett gebrannt. Auch wenn es da aussah, wie in so einem Café oder wie in einem großen Wohnzimmer – da war einfach die Hölle los! Und es kommt ja auch immer darauf an, was man aus etwas macht.

B: Und nach zwei Jahren, in denen man zu Pandemiezeiten zu Hause rumgesessen hat, ist es sowieso schön, mal wieder rauszukommen. Vor dieser Tour jetzt waren wir in Amerika unterwegs, zusammen mit Rein. Es war toll, nach der ganzen Paranoia mal wieder auf der Bühne zu stehen. Aber auch sie hatte Covid bekommen, war richtig krank und hat ein paar Shows verpasst. Es ist nach wie vor ein weltweites Problem.

„Wir werden ein großes Erbe mit vielen Erfolgen hinterlassen. Nicht nur mit Front Line.“ Bill Leeb / Front Line Assembly


Was macht ihr denn sonst so, um euch auf Tour fit und bei Laune zu halten? Ihr seid hier ja quasi eingepfercht im Tourbus.

J: Das größte Problem bei dieser Tour ist einfach die Hitze. Egal, wo wir hinkommen – außer im Bus – ist es brüllend heiß. Das Ding ist, es gibt in Deutschland gefühlt keine Klimaanlagen. Das ist hier wirklich wie im Mittelalter. Man kann der Hitze einfach nicht entkommen, außer eben im Bus. Aber da will man ja nicht den ganzen Tag sein, da ist man ja schon die ganze Nacht. Wir versuchen alles, dass es ein wenig kühler wird, aber auf der Bühne spätestens ist die Hölle los. Im wahrsten Sinne des Wortes. In Weinheim war die Luftfeuchtigkeit im Club so hoch, dass das Lichtpult ausgefallen ist durch die Feuchtigkeit. Auf einmal war alles dunkel, zwei Songs lang. Aber wir haben natürlich weitergespielt. Und die Leute fanden es toll, die stehen auf so was. Bisschen kuscheln und so.

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Bill, gibt es eine bestimmte Sache, an die du immer denken musst, wenn es um Die Krupps geht?

B: Die erste Tour, die wir mit ihnen gemacht haben, war eine echt fette Ami-Tour, „Hard Wired“-Zeiten, Krupps als Support. Jeden Abend sind wir in die Venue gekommen und da waren immer Massen von Leuten. Ich erinnere mich daran, wie Jürgen in Texas mit einem Glas voll Milch stand und proklamierte, wie sehr er dieses Land liebt. Und er ist ein toller Geschichtenerzähler. Gestern Abend hat er mir davon erzählt, wie er mal drei Stunden mit Falco Mittag gegessen hat – ich liebe diese Geschichten. Schon toll, dass wir so eine lange History teilen – und immer noch zusammen unterwegs sind!

In den 90ern gab es die „Remix Wars“, jetzt mit der Split-EP eine Art Fortsetzung. Wer hat was gemacht?

B: Wir haben einen neuen Song für Jürgen geschrieben, den er eingesungen hat, sowie einen weiteren Song von der Mechanical Soul. Umgekehrt hat er uns auch zwei Songs geschickt, zu denen ich die Vocals beigesteuert und Tim die Gitarre eingespielt hat. Wir haben die Songs also komplett neu gemacht, so auch die Version von „Machineries Of Joy“. Das hat Spaß gemacht.

Macht das alles noch so viel Spaß wie in den wilden 80ern und 90ern?

B: Diese Tour und die Festivals machen großen Spaß. Es ist schön, dass all die Fans zu unseren Gigs kommen und einfach nur nett zu uns sind. Ich habe auch das Gefühl, dass die Leute uns, also Rhys und mir, jetzt mehr Respekt entgegenbringen als früher. Am Anfang war man jung, wütend, hat sich ausprobiert, fand alle anderen scheiße. Heute sind wir einfach nur glücklich darüber, dass wir überlebt haben und stolz darauf, was wir alles gemacht haben. Wir werden ein großes Erbe mit vielen Erfolgen hinterlassen. Nicht nur mit Front Line.

Bill, wenn du das neue „Total Terror“-Shirt am Merch hängen siehst oder die Vinyl-Re-Releases aus den mittleren Achtzigern in der Hand hältst: Wirst du da manchmal etwas wehmütig?

B: Es ist verrückt, weil ich mit diesen Sachen angefangen habe, als ich Skinny Puppy verlassen habe. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich wirklich nicht wusste, was ich da gemacht habe. Ich hatte auch Bedenken, dass es nicht gut ist und dass sich das keiner jemals anhören würde. Als dann nach vielen Jahren die Plattenfirma auf mich zukam, eine große Box mit Geld auf den Tisch gestellt und gesagt hat, dass sie die Sachen gerne wiederveröffentlichen würde, war ich immer noch nicht überzeugt. Sie meinten aber, dass die Fans es lieben würden und es eine tolle Ergänzung für ihre Sammlung wäre, weil es Teil meines musikalischen Erbes ist, und der Industrial-Historie. Also habe ich mich überzeugen lassen. Die Leute lieben auch die Shirts.

Es wurde schon bei einer der letzten FLA-Touren gemunkelt, dass du für die junge Rasselbande wie ein Papa bist. Wie darf man sich das vorstellen? Punkt 2 Bettruhe, kein Schnaps vor 20 Uhr?

B: Nein! Eigentlich stimmt nichts davon. Ich bin derjenige, der immer einen Drink in der Hand hat. Aber ich fühle mich ein bisschen wie Rhys‘ älterer Bruder. Er war 16 oder 17 als er zu FLA kam, ist in der Band erwachsen geworden. Das ist jetzt die zweite Tour, auf der Tim Skold dabei ist. Er ist ein großer Game-Changer für uns. Er ist einfach ein Rockstar.

Welchen Unterschied macht Tim denn?

B: Er war ein wichtiger Teil bei KMFDM und hat mit Marilyn Manson gespielt, mit dem er noch immer dicke ist. Er hat viele eigene Fans, ist unfassbar cool und bringt eine ganz neue Facette ein. Es gibt also immer wieder etwas Neues bei uns, auch wenn wir älter werden. Und genau das ist es, was Musikmachen so großartig macht.

Und wie hast du ihn für FLA gewonnen?

B: Wir haben vor ein paar Jahren einen Remix für Tim gemacht. Also fragte ich Rhys, warum wir nicht mal vorsichtig abklopfen, was Tim gerade so macht. Nun ist Tim aber keiner, der einfach so „Hurra!“ schreit. Man muss den richtigen Moment erwischen, und alles muss perfekt funktionieren. Das ist die zweite Tour mit ihm, wir kennen uns mittlerweile richtig gut. Man lebt halt 24/7 zusammen. Einfach war das alles nicht einfach nach Jeremys Tod. Ich dachte, wir könnten nicht so weitermachen wie bisher. Konnten wir auch nicht, denn Tim ist ein ganz anderer Typ.

„Wir haben nach wie vor was zu sagen und schreiben noch gute Stücke. Deshalb die vielen neuen Fans.“ Jürgen Engler / Die Krupps


Jürgen, anders als die meisten großen alten Bands, spielt ihr verhältnismäßig viele neue Songs – und das kommt super an ...

J: Das Ding ist einfach, wir haben nach wie vor was zu sagen und wir schreiben noch gute Stücke. Und wir haben deshalb auch ziemlich viele neue Fans. Das ist wohl der Unterschied. Die meisten machen eine Karaoke-Tour; die spielen ihre fünf Hits und ein paar Sachen, die keiner hören will, und das war’s. Bei uns ist es, beispielsweise mit „Robo Sapiens“, „Nazis On Speed“ oder „Vision2022Vision, so, das sind alles Sachen, die funktionieren. Wir haben mittlerweile mehr neues Zeug im Repertoire, vor allem auch gegen Schluss, weil die Leute es einfach geil finden.

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Mit dem letzten regulären Krupps-Studioalbum „Vision 2020 Vision“ habt ihr ein düsteres Zukunftsszenario gezeichnet. Rückblickend kam aber alles noch viel, viel schlimmer. Wagt ihr aktuell überhaupt noch Gedanken über die Gegenwart hinaus?

J: Für mich ist alles, was passiert, Nährboden. Alles, was um uns herum passiert, wird in irgendeiner Weise verarbeitet – textlich oder musikalisch. Was auch immer passiert, egal, wie schlimm es sein mag: es findet immer den Weg in unsere Krupps-Welt. Es wird dann verarbeitet und serviert.

Du hast deinen Lebensmittelpunkt in Texas, aber letztens ein Foto vor dem Mannesmann-Hochhaus gepostet. Was hast du da gemacht? Wie oft bist du noch in Düsseldorf und dem Rheinland?

J: Nur zur Tour. Ich hatte da eine Gitarre von einem Freund abgeholt, der hat sie noch gehabt von vor drei Jahren, seitdem alles verschoben wurde. Eineinhalb Tage war ich da. Ich gehe dann schon meine alten Ecken ab oder laufe die Rheinpromenade runter, lege mich in die Lounge-Chairs mit diesen beleuchteten Schirmchen. Das kann ich wirklich empfehlen, man kann dort wunderschön liegen, sich alles anschauen, im Hintergrund sieht man das Mannesmann-Gebäude mit der schönen Skulptur. Und da ist der Rheinturm – das sieht alles wunderbar aus.

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Was passiert bei Die Krupps als nächstes?

J: Es sollen zwei Backcatalogue-Alben noch mal veröffentlicht werden. „Odyssey Of The Mind“ und „Paradise Now“. Aber wann genau, das weiß ich nicht. Und in Bälde, noch dieses Jahr, kommt noch ein Album von Die Robo Sapiens. Das ist schon lange fertig, aber wegen der Vinylfertigung ein bisschen verzögert. Also endlich das Album zu „Tanz mit dem Roboter“. Das ist und bleibt ein reines Electro-Projekt.

Bei dir, Bill, stehen zunächst auch Releases von Ablegern an …

B: An der Noise Unit habe ich noch mit Jeremy gearbeitet. Die Demos habe ich wiedergefunden, als er schon verstorben war. Ich dachte mir, dass ich noch Vocals einsingen, das Material mastern und rausbringen sollte. Es ist das letzte Glied in seinem musikalischen Nachlass. Alle Erlöse aus dem Verkauf gehen an die Food Bank, das war eine Herzensangelegenheit von Jeremy. Und es kommt ein neues Delerium-Album. Das wird gerade gemastert, aber nicht vor nächstem Februar erscheinen. Eine der Artists wird dieses Mal Kanga sein, der Gesang wird also eher edgy. Wir freuen uns sehr, dass sie dabei ist.