Drab Majesty „Modern Mirror“
Rezension
Album // Dais Records
Schön zu sein, kann das wirklich wichtig sein? Nicht erst seit dem vorletzten Jahrhundert stellen sich Menschen derartige Fragen. Selfies und Social Media gab es damals nicht, stattdessen dominierten Typen wie Jacob und Wilhelm Grimm das abendliche Unterhaltungsprogramm – mit Geschichten über arglistige Königinnen, die schönen Stieftöchtern nach dem Leben trachten, weil sie deren alles überstrahlende Attraktivität nicht ertragen. Was sagt uns das?
Spieglein, Spieglein
Damals wie heute verläuft zwischen gesunder Selbstliebe und krankhaft widerwärtigem Narzissmus ein äußerst schmaler Grat, an dessen Bewältigung so manch einer scheitert, nicht selten ohne sich dessen bewusst zu sein – im Märchen genauso wie im von allerlei krummen Vögeln durchsetzten Musikgeschäft. Schnelle Autos, schöne Frauen, warum nicht noch ein Häuschen bauen? Welche Werte wirklich zählen, allein darum geht es.
Insbesondere US-amerikanischen Künstlern wird oft und gerne unterstellt, theatralischer Selbstinszenierung nicht abgeneigt zu sein, aber ist da wirklich etwas dran? Möglicherweise. Drab Majesty scheint der schöne Schein zumindest nicht ganz unwichtig zu sein. Zu behaupten, Deb Demure und Mona D. legten keinerlei Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild, wäre nicht nur gewagt, sondern schlicht niemandem glaubhaft zu vermitteln, der die androgynen Alter Egos der beiden einmal live auf der Bühne erlebt oder zumindest das Cover des neuen Albums betrachtet hat – und das ist völlig wertfrei gemeint.
Tatsächlich widmet das Duo aus Los Angeles sein jüngstes Album Modern Mirror der Sage von Narziss, einem der antiken Mythologie entsprungenen, überaus eitlen Geck, der so sehr in sein Spiegelbild verliebt ist, dass es ihm Zeit seines Lebens nicht gelingt, die Liebe anderer zu erkennen, geschweige denn sie anzunehmen oder zu erwidern. Was ursprünglich als Mahnung gedacht war, ist, von vielen unbemerkt, im 21. Jahrhundert beinahe schon zum Normalfall verkommen.
Schöne neue Welt
Wohl auch deshalb schwebte Drab Majesty nichts weniger als eine Neuinterpretation dieser im Wortsinn verrückten Erzählung vor, als sie damit begannen, ihr drittes Studioalbum aufzunehmen. Mit Modern Mirror hält das Duo aus Los Angeles der Welt den Spiegel vor, um aufzuzeigen, wie sehr das Selbstbild jedes Einzelnen im Angesicht rasant fortschreitender Technisierung und Digitalisierung ins Wanken geraten kann.
Sowohl inhaltlich als auch musikalisch treffen Drab Majesty ins Schwarze, indem sie Altbewährtem Tribut zollen. Ihr wie gewohnt von zeitloser Ästhetik geprägter Sound greift einige der Fäden auf, die Bands wie The Cure, The Chameleons oder beispielsweise New Order einst spannen. Was dabei herausgekommen ist, ist weitaus mehr als ein nostalgischer Blick zurück, es ist vor allem ein gelungenes Album über ein zeitloses Thema: unerfüllte Liebe. (Kai Reinbold)